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hobbytipp 332
Lebenselixiere aus Deutschland: wilde Früchte
Was wir von unseren Vorfahren lernen können
Foto Jean Pütz als Steinzeitmensch; Rechte WDR
Foto Jean Pütz als Steinzeitmensch; Rechte WDR
Auch uns modernen
Steinzeitmenschen
bekommen Wildkräuter
und -früchte bestens.
Wir leben in Deutschland im Zentrum Mitteleuropas unter den klimatischen Bedingungen der gemäßigten Zone mit dem Wechsel der Jahreszeiten, der Temperaturen und des Lichts. Unser heutiges Lebensgefüge aus Tieren und Pflanzen hat sich seit der letzten Eiszeit vor über 10.000 Jahren entwickelt. Bliebe die charakteristische Welt Mitteleuropas sich selbst überlassen, wäre bald alles mit Wald bedeckt. Unser Lebensraum ist nicht reicher oder ärmer ist als andere Regionen, sondern anders.
Das erste Auftreten des Menschen in Mitteleuropa ist für die Altsteinzeit belegt, davon zeugen Steinwerkzeuge, zum Beispiel sogenannte "Gerölle", mit denen wahrscheinlich Gräser, Körner und Früchte bearbeitet wurden. Nicht erst seit dieser Zeit ist unser Körper evolutionär auf diesen Raum und sein Nahrungsangebot geprägt. Wildpflanzen, die in unseren gemäßigten Breiten wachsen, sind an unser Klima angepasst und sie dienten dem mitteleuropäischen Homo sapiens als wichtigste Nahrungsquelle. Unsere genetische Ausstattung baut auf dem auf, was unsere Ur-Vorfahren als Nahrungsgrundlage vorgefunden haben. Das Sammeln von Wildpflanzen ist seit Millionen von Jahren die entscheidende Überlebenstechnik. Die Jagd ist im Vergleich dazu noch relativ jung, sie gibt es "erst" seit etwa 50 000 Jahren. Unsere Vorfahren kannten noch über tausend der 12 000 mitteleuropäischen Pflanzensorten und nutzten sie als Lebensmittel. Wir kultivieren und essen gerade noch 50 Arten davon. Die meisten von ihnen haben nur noch wenig mit ihrer "wilden Verwandtschaft" zu tun.

Daher ist es gut, Wildkräuter, Früchte und Samen wieder verstärkt in unseren täglichen Speiseplan zu integrieren, denn die Wildarten versorgen uns mit genau den Lebensmitteln, auf die sich unser Genpotential eingependelt hat. So sagte uns die Prähistorikerin Dr. Antje Justus vom Museum für die Archäologie des Eiszeitalters im Schloß Monrepos bei Neuwied:

"Pflanzen können wir als Archäologen nur indirekt nachweisen über den Pollen, den Blütenstaub, der sich in den Ablagerungen in den Fundschichten erhalten hat. Und da wissen wir zum Beispiel für die Zeit von 13 500 vor Christus, dass hier in dieser Region die Lößsteppe geherrscht hat. Das heißt, keine Baumvegetation, sondern die Landschaft war gekennzeichnet durch Gräser, verschiedene Gräser, die man alle essen kann, Kräuter, wie zum Beispiel Beifuß, den wir heute noch verzehren, wenn wir Entenbraten haben, Spitzwegerich, Breitwegerich um nur einige von diesen zu nennen. Es gab aber auch eine Vielfalt von Büschen, wie zum Beispiel Holunder oder Sanddorn, der ja sehr Vitamin C-haltig ist. Sie haben aber auch Rosengewächse, wir zum Beispiel die Hundsrose und damit die Hagebutten, die auch noch gegessen wurden. Und es ist davon auszugehen, dass diese Vegetation von den Menschen ausgenutzt wurde."
Foto Dr. Antje Justus; Rechte: WDR
Foto Dr. Antje Justus; Rechte: WDR
Dr. Antje Justus
erforscht die Ernährung
unserer Vorfahren.
So erlauben unsere einheimischen Wildpflanzen eine Zeitreise zu vergangenen Essgewohnheiten und vergessenen Geschmackserlebnissen. Gleichzeitig geben sie unserem Körper die bioaktiven Stoffe, die zu ihm passen wie ein Schlüssel ins richtige Schloss. Die letzen großen Klimaschwankungen sind mit dem Ende der Eiszeiten vorbei und damit auch die dramatischen Veränderungen der Umwelt. Heute sind es nicht mehr kosmische Ereignisse, sondern der Mensch selber, der für die Umwälzungen sorgt. Seit dem Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert verändern sich die Lebensgrundlagen in Mitteleuropa mit zunehmender Dynamik. Das betrifft besonders die Ernährung: Sie hat sich in dem - in evolutionären Maßstäben betrachtet -  lächerlich kurzen Zeitraum der letzten fünfzig Jahre grundlegend verändert. Alle Lebensbereiche sind davon betroffen. So interessieren sich immer mehr Menschen für die Jahreszeiten nur noch unter dem Aspekt des nächsten Modetrends. Sie denken beim Stichwort Herbst bestenfalls noch an die fällige Reise in wärmere Gebiete. Auch von den Rhythmen des Tageslichts haben sich viele weitgehend abgekoppelt, Schichtarbeit und Langstreckenflüge missachten die innere Uhr. Alle diese Entwicklungen nivellieren die natürlichen Unterschiede zwischen den Jahreszeiten, dienen einer Gleichmacherei der Temperaturen, der Farben, des Lichts und der Speisekarte. Kein Wunder, dass der Körper verrückt spielt. Dazu noch einmal Frau Dr. Antje Justus:

"Unsere Vorfahren hatten nicht die Möglichkeiten, die wir haben. Sie waren sehr, sehr stark von der jeweiligen Jahreszeit abhängig. Das heißt, was wir heute als Winter bezeichnen, das war früher dann auch Winter, nur noch viel kälter, mit bis zu minus 20 Grad. Da gab es kaum noch Vegetation. Da musste man auf den Mageninhalt von Tieren zurückgreifen oder auf Vorräte. Das heißt, diese Abhängigkeit von den Jahreszeiten und damit das Essen nach den Jahreszeit war dominierend. Das ist uns ja leider völlig abhanden gekommen."

Ein möglicher Ausweg aus dieser Situation liegt in einer Bestandsaufnahme der heimischen Originalität und dem Versuch, Teile der typischen mitteleuropäischen Lebensformen in den modernen Alltag hinüber zu retten. Welch ein Gewinn, den Zeitpunkt einmaliger Ereignisse zu respektieren und neu zu erleben: Dann gibt es zum Beispiel nur im Herbst die frische Hagebuttenmarmelade und die Bucheckern. Das sind einmalige Genüsse, die eine ganz neue Art von Reichtum darstellen! Zu diesem Thema ein Ausflugstipp: Besuchen Sie mit Ihren Kindern das Museum für die Archäologie des Eiszeitalters im Schloß Monrepos. Es liegt wunderschön im Wald bei Neuwied und bietet interessante Führungen besonders für Kinder, zum Beispiel: "Wie unsere Vorfahren, die Jäger und Sammler lebten." oder "Von Mammuten, Wildpferden und Menschen." mit "steinzeitlicher Arbeit" im Erlebnisraum oder "Ausgraben wie ein Steinzeitforscher". Führungen können für jeden Tag gebucht werden. Anmeldungen unter: Tel: 02631/97720 oder [email protected]

 
hobbytipp
Vorwort
Was wir von unseren Vorfahren lernen können
Arche der Aromen
Gesundheit mit Herbstfrüchten
Die Wildrose - Die Königin
Schlehe - Die Zauberpflanze
Weißdorn - der Hüter der Schwelle
Buche - die Mutter des Waldes